Ein Schiff sinkt nicht, weil auf dem Promenadendeck ein Glas Champagner umfällt. Es sinkt, weil unter der Wasserlinie, von allen unbemerkt, ein Leck entstanden ist. Ähnlich ist es auch an den Börsen. Es ist entscheidend, nicht nur den Blick auf das zu werfen, was die Medien beherrscht, sondern auch hinter den Vorhang auf kleinere Bereiche zu schauen. Denn wenn die nicht so laufen wie die Kurse auf der grossen, medialen Bühne, ist Vorsicht angesagt. Und da gibt es derzeit einige Bereiche, auf die man aufpassen sollte.
Donald Trump hat die Wahl gewonnen. Nach seiner ersten Wahl ging es steil aufwärts, also taten viele Akteure an den Bösen aktuell diesmal genau dasselbe. Doch auch, wenn die Börsenhistorie für Investoren viele entscheidende Beispiele liefert, wie eine bestimmte Situation ablaufen kann, so ist nichts, was heute passiert, eine exakte Kopie vergangener Jahre. Irgendetwas ist immer anders. Das können Kleinigkeiten sein. Es können aber auch Faktoren sein, die dazu führen, dass man mit der Strategie, einfach zu tun, was andere in einer ähnlichen Situation auch taten, Schiffbruch erleidet … einfach, weil die Ähnlichkeit nur oberflächlich ist.
Die erste Reaktion war tatsächlich eine Art Kopie der Tage nach der US-Wahl 2016, dazu auch mehr in einem Webinar, das ich an diesem Mittwoch um 19 Uhr zu diesem Thema halten möchte, die Möglichkeit, daran teilzunehmen, finden Sie hier: Aktienmärkte nach der US-Wahl: Blaupause 2016 … oder wird diesmal alles anders?
Das US-Flaggschiff präsentiert sich stark … die gesamte Flotte weitaus weniger
Aber das galt nur für die Wall Street, in Europa, wo es damals auch aufwärts ging, wurde verkauft. Denn diesmal ist klarer als vor acht Jahren, was der kommende US-Präsident in Sachen Wirtschaft tun wird. Und das ist keineswegs erfreulich für die Eurozone … und für China. Für den US-Aktienmarkt wertet man das indes allgemein als massiv bullisch. Und ja, wenn man sich das US-Index-Flaggschiff Dow Jones so ansieht: Der Index hat zwar zuletzt etwas zurückgesetzt. Aber das ist charttechnisch gesehen noch kein Beinbruch – und nach einem derart immensen Kurssprung auch normal. Allerdings …
… geht es da auch nur um 30 Aktien. Und wenngleich das alles grosse Blue Chips sind, der Gesamtmarkt ist für die Frage, wie sich die Investoren insgesamt zu der Lage und den Perspektiven stellen, aussagekräftiger. Und wenn man sich den breiten Markt anhand des NYSE Composite Index mit seinen gut 2.000 US-Aktien ansieht, sieht die Sache schon weniger glorreich aus. Das vorherige Zwischenhoch ist bereits klar unterboten, der Ausbruch nach der Wahl also eine Bullenfalle geworden. Achten Sie daher vor allem auf dieses „Leck“ unter der Wasserlinie und die beiden jetzt wichtigen Supportlinien in Form der bereits nahegekommenen August-Aufwärtstrendlinie bei aktuell 19.400 und das direkt vor der Wahl markierte Zwischentief bei 19.200 Punkten!
In China bleiben die Daumen oben … aber nur da, wo man nötigenfalls die Daumenschraube anlegt
Auch in Sachen China ist es wichtig, nicht nur dorthin zu schauen, wo der schöne Schein nötigenfalls aufpoliert werden kann. Ein Teil der gigantischen Summen, mit denen man in Peking das Wachstum wieder flottmachen will, ist für ggf. für nötig befundene Eingriffe am Aktienmarkt reserviert, man geht da von etwa 100 Milliarden US-Dollar aus. Eine Summe, die viel am Bild des wichtigen Shanghai Composite Index aufpolieren kann. Und der kommt durchaus „poliert“ daher:
Mitte Oktober wurden die Verkäufe nach der ersten, auf den Massnahmen zur Wachstumsbelebung basierenden Rallye genau da abgefangen und der Index gedreht, wo es darauf ankam: Auf Höhe des Mai-Hochs als entscheidendem Support. Danach ging es wieder dynamisch aufwärts. Und selbst nach der US-Wahl hielt man sich wacker, nachdem die erwarteten Steuersenkungen für Jedermann in China ausblieben. Es wirkt, als sei hier alles im Griff, der Bruch der kurzfristigen Aufwärtstrendlinie ist noch nicht sehr deutlich … und solange das Mai-Hoch bzw. Oktober-Tief hält, ist das Gesamtbild ja noch bullisch. Doch wenn man sich dann den HSCEI ansieht, den Hang Seng China Enterprises Index, der die 50 wichtigsten China-Aktien listet, die in Hongkong frei gehandelt werden und wo Stützungen aus Peking nicht hin reichen, sieht man: Abseits des Promenadendecks scheint es ein Leck zu geben:
Hier gab es die zweite Rallye ab Mitte Oktober nicht. Und während der Shanghai Composite noch deutlich von der entscheidenden Supportlinie entfernt ist, ist der HSCEI bereits direkt dran. Unter der Wasserlinie und daher unbemerkt von vielen hat die Hoffnung, dass China mit dem jetzt geschnürten Massnahmenpaket umgehend die Kurve kriegt, ein erhebliches Leck. Das sollte man jetzt im Auge behalten!
Starker Dollar … und schwaches Öl?
Zwei weitere Bereiche, die meiner Ansicht nach einen genauen und steten Blick wert sind: der US-Dollar und der Ölpreis. Der folgende Chart zeigt die US-Dollar/Euro-Relation, also das übliche Bild spiegelverkehrt, weil man hier sieht, wie viel Euro ein US-Dollar gerade kostet. Und wir sehen: Der steigt, deutet bislang keine Umkehr an, wie man es am US-Aktienmarkt mehr (NYSE Composite oder auch der Russell 2000) oder weniger (Dow Jones oder Nasdaq 100) sehen kann. Ist das ein Beleg, dass man zumindest am Devisenmarkt überzeugt ist, dass die US-Wirtschaft jetzt massiv durchstarten wird?
Das kann man so interpretieren, man könnte sich indes damit irren. Denn man kann nicht auseinanderhalten, wie viel dieser aktuellen Dollar-Käufe womöglich Käufe sind, weil man den US-Dollar als Safe Haven“-Währung sieht, sprich nicht vermehrt in Dollars umschichtet, weil man dort das stärkste Wachstum erwartet, sondern weil man zunehmende Probleme in der Weltwirtschaft befürchtet und den Greenback als relativ stabilste Währung einordnet. Dieser Gedanke kommt deswegen auf, weil das Bild bei Rohöl nicht zu einem „Hurra-Szenario“ in Sachen Wachstum passen mag:
Donald Trump will die fossilen Energien wieder voranbringen, mehr Öl und Gas fördern und den Weg in Richtung erneuerbarer Energien entweder verlangsamen oder womöglich sogar rückgängig machen. Zugleich will er die Industrie wieder gezielt in Schwung bringen. Eigentlich müsste das den Ölpreis nach oben ziehen. Doch es scheint, als würde man am Ölmarkt nicht überzeugt sein, dass wir jetzt unmittelbar vor einer Wachstumsphase mit einer damit einhergehenden, anziehenden Ölnachfrage stehen. Auch das ist ein Bereich, den man, wenn man nicht von einem Leck unter der Wasserlinie überrascht werden will, unbedingt beobachten sollte.
Diesmal könnte es durchaus anders laufen
Aus meiner persönlichen Wahrnehmung heraus könnten es die jetzt Schlag auf Schlag herein kommenden Nominierungen für wichtige Ämter in der kommenden US-Regierung sein, die die Sache jetzt doch problematischer für die Investoren machen. Denn sicher könnte man es so interpretieren, dass diese die Fachleute mehrheitlich beunruhigenden Nominierungen dafür sorgen, dass verkrustete Strukturen durch frischen Wind aufgebrochen werden. Aber in erster Linie sollten Minister Erfahrung und Kompetenz mitbringen. Nicht zwingend politisch, aber fachbezogen.
Dieser Eindruck entsteht jedoch nicht. Und es scheint immer mehr Anlegern zu dämmern, dass die kommenden Jahre für die US-Wirtschaft ebenso wie für die Weltwirtschaft vielleicht mehr Wachstum, aber ganz sicher mehr Schwierigkeiten bringen. Achten Sie auf diese Lecks unter der Wasserlinie wie den NYSE Composite, den HSCEI und den Ölpreis, zudem dürfte es lohnen, die zunächst rasant nach oben geschossenen US-Bankwerte wie Goldman Sachs oder JP Morgan im Auge zu behalten!
Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Börsenwoche!
Ihr
Ronald Gehrt
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