Ist Ihnen nicht auch schon die Kinnlade heruntergefallen, wenn Sie plötzlich massive Kursbewegungen am Markt sahen, die scheinbar aus dem Nichts kamen und obendrein nicht nur ohne externe Nachrichten entstanden, sondern völlig unlogisch wirkten? Zweifellos.
Und die Begründungen, die in vielen Medien dann nachgereicht werden, wirken nicht minder absurd. Da sollen die Anleger auf einmal eine Meinung vertreten, die am Vortag, bevor die Kurse wie von Geisterhand in Bewegung kamen, völliger Unsinn war. Beispiele gibt es genug: Auf einmal hiess es, man beurteile das überraschende Votum der Briten für den EU-Austritt als Chance. Man sehe den überraschenden Wahlsieg von Donald Trump als Startpunkt für anziehendes, starkes Wachstum. Und die Wahlpleite der britischen Konservativen sei angeblich der Garant, dass der “BrExit” nicht so hart ausfallen werde wie befürchtet. Kann es sein, dass die Mehrzahl der Investoren wirklich binnen eines Tages, oft sogar binnen ein, zwei Stunden kollektiv ihre Meinung ändert?
Kurse formen die Nachrichten
Natürlich nicht. Hier formen die Kurse die Nachrichten, weil man in den Medien glaubt, eine Erklärung zusammen basteln zu müssen, die aber die Basis solcher seltsam wirkenden, meist immens dynamischen Kursbewegungen verschweigt. Wieso? Weil man sonst den Eindruck vermitteln könnte, an der Börse werde “manipuliert”. Was, wenn man dieses Wort im üblichen, negativen Sinne verwendet, jedoch Unfug ist. Es ist zwar richtig, dass solche Kauf- oder Verkaufswellen ganz gezielt und mit einem klar umrissenen Ziel losgetreten werden. Aber wenn man sich mal überlegt, wie die Börse wirklich funktioniert, ist das nicht nur legal. Es ist völlig normal.
Der Trend geht mit dem Geld
Oft wird es so dargestellt, als würden sich die Kurse nur entlang neuer Nachrichten bewegen, denn für alles sucht man in den meisten Analysen oder Kommentaren nach einem Auslöser in der Nachrichtenlage. Aber das ist nur selten wirklich der Fall. Jeder Investor agiert manchmal auf Nachrichten, viel öfter aber auf Basis charttechnischer Aspekte oder auch rein emotional. Und jeder Marktteilnehmer, ob als Privatanleger oder als grosser Hedgefonds, verfolgt mit seinen Aktivitäten ein Ziel: Gewinnerzielung.
Der einzige, wenngleich entscheidende Unterschied zwischen “normalen” Tradern und den sogenannten grossen Adressen wie Banken im Eigenhandel, Fonds, Hedgefonds, Versicherungen oder Pensionskassen ist: Dort kann man mit extrem grossen Summen operieren. Und das bedeutet:
Diese Marktteilnehmer können mit so grossem Kapitaleinsatz agieren, dass sie Kauf- oder Verkaufssignale erzeugen können, wenn sie geschickt vorgehen. Das ist nichts anderes als das gekonnte Nutzen der Marktmechanismen:
Diejenige Seite, auf der die grösseren Summen an den Start gehen, treibt die Kurse in ihre Richtung. Erhöht sich zum richtigen Zeitpunkt das Volumen der Käufe, werden die im Markt liegenden Verkaufsorders einfach aufgekauft und die Kurse steigen blitzschnell so lange, bis wieder ein Gleichgewicht zwischen Kauf- und Verkaufsorders besteht. Dies gezielt zu nutzen, ist ein probates Mittel an der Börse für diejenigen, die dazu genug Kapital einsetzen können. Da von einer Manipulation zu sprechen, diese Aktivitäten in den Bereich des Anrüchigen zu tragen, ist ebenso fehl am Platz wie zu versuchen, diese Marktmechanismen zu verschweigen und sich hanebüchene Erklärungen durch das Umkehren der Nachrichtenlage zusammenzuschustern. Scheinbar unlogische Bewegungen werden sofort wieder logisch, wenn man sie aus der Sicht der Börsen-Mechanismen beleuchtet und überlegt, welches Ziel diese Aktionen haben könnten. Sehen wir uns Beispiele dafür an:
Der BrExit: Auf einmal eine Chance?
Es dauerte einige Tage nach dem ersten Schock, aber zwei Wochen nach dem dramatischen Minus der europäischen Aktienindizes (als Beispiel dient nachfolgend der Chart des DAX-Future) drehten die Notierungen wieder nach oben. Ein Doppeltief entstand und bildete die Basis einer Rallye, die die Aktienmärkte schnell über den Level hinaus nach oben trieb, den man im Vorfeld des britischen Referendums erreicht hatte, als man kräftig einstieg, in der trügerischen Sicherheit, die Briten würden den EU-Ausstieg ablehnen. Sah man den “BrExit” auf einmal diametral anders, wurde er jetzt positiv gesehen? Durchaus nicht. Aber diese Käufe bewirkten, dass viele Marktteilnehmer glaubten, dass es so wäre. Denn natürlich dominiert der Gedanke:
Die Börse hat immer recht, also muss der BrExit entweder “verdaut” sein oder sogar positiv wirken, sonst würden die Kurse nicht steigen. Man schliesst sich dieser Meinung dann nur zu gerne an und kauft selbst – was einen Trend zementiert, der eigentlich nur auf Basis des Willens, wichtige charttechnische Unterstützungen zu halten, entstanden war. Und nicht nur beim “BrExit” war das der Fall, sondern auch nach der US-Wahl im November 2016. Und da ging es sogar noch weitaus schneller:
Auf dem Absatz kehrt: Die “Trump-Rallye”
Im Vorfeld der Wahlentscheidung Anfang November waren sich die Marktteilnehmer einig: Sollte Donald Trump die Wahl gewinnen, was man indes für wenig wahrscheinlich hielt, sei das für die Aktienmärkte eine Katastrophe, weil Trumps Pläne zwar kurzfristig positive Effekte zeitigen, mittelfristig aber fatal wirken würden. 24 Stunden später jedoch schien es, als wäre alle Welt begeistert, Trump der grosse Hoffnungsträger für weltweit anziehendes Wachstum. Wie konnte es sein, dass alle ihre Meinung so schnell auf den Kopf gestellt hatten?
Sie haben es gar nicht, es wirkte nur so – und die Vehemenz der Rallye zwang die meisten Akteure, ihre Positionen auf Long zu drehen, was die Rallye nur noch intensivierte. Es sah also nur so aus, als wären alle auf einmal guter Dinge. Aber die Sogwirkung steigender Kurse führte dazu, dass, wie bereits beim BrExit-Beispiel beschrieben, viele dachten, alle anderen würden Trumps Sieg positiv sehen. Also zog man mit – aber die Wahrheit war eine andere:
Sie sehen in dem obenstehenden Chart des DAX, dass dieser am Morgen nach dem Wahlergebnis sehr deutlich im Minus eröffnet hatte. Vorbörslich war der Index sogar unter 10.000 Punkte abgerutscht. Doch dann zog der Index aus dem Minus immer weiter an. Gezielte Käufe mit immensem Kapitaleinsatz gleich am frühen Morgen waren der Grund. Und diese Käufe wurden auch noch durch Aktionen in anderen Assets unterstützt, wie der folgende Chart zeigt:
Als am Morgen des 9. November klar war, dass Donald Trump die Wahl gewinnen würde, wollten nicht nur viele Anleger so schnell wie möglich aus dem Aktienmarkt aussteigen, sondern schichteten in den vermeintlich “sicheren Hafen” des Goldes um. Gold sauste zunächst um über 60 US-Dollar nach oben. Als grosse Adressen erkannten, dass sich hier ein Aktienmarkt-Crash anbahnen könnte, traten sie nicht nur eine massive Kaufwelle über die Futures der Aktienindizes los, sondern verkauften zugleich Gold, das daraufhin seine gesamten zeitweiligen Gewinne bis zum Abend des 9. November wieder abgab.
Das simulierte das Bild, dass sich “die Anleger” wieder beruhigt hätten und das Positive an Trumps Wahlsieg erkennen würden. In Wahrheit gehörte auch das zu den Abwehr-Aktionen der grossen Investoren. Gold ist ein im Vergleich zu den Aktien enger Markt und daher mit weniger Kapitalaufwand beeinflussbar – zumindest, wenn man gezielt und kurzfristig agiert – und für viele Anleger eine Art Barometer dahingehend, ob man sich Sorgen machen muss oder nicht. Ein wieder fallender Goldpreis trug dazu bei, das Bild zu erzeugen: Alles in bester Ordnung.
Friss oder stirb: Grosse Kurslücken und ihre Effekte
Wichtig bei solchen gezielten Aktionen ist, dass sich die Marktteilnehmer nicht umgehend nach einer massiven Kursbewegung fragen, ob diese nicht womöglich Unsinn ist und dagegenhalten. Da die meisten dieser “Rallyes von Geisterhand” das Problem haben, der Logik zuwider zu laufen, ist es ideal, wenn man imstande ist, durch solche Aktionen charttechnisch wichtige Marken zu kreuzen, so dass die Charttechnik zusätzlich Signale in die gewünschte Richtung generiert. Und gelingt es darüber hinaus, grosse Kurslücken zu erzeugen, entsteht auch noch eine Zwangslage für die Marktteilnehmer:
Friss oder stirb … spring auf den Zug auf oder riskiere, bei der Fortsetzung der Rallye noch teurer einsteigen zu müssen. So geschehen am Morgen des 24. April 2017:
Der DAX eröffnete mit einer immensen Kurslücke nach oben, weil bereits vorbörslich so grosse Kauforders am Markt vorhanden waren, dass alles, was da an Verkaufsorders “im Weg” lag, gleich zum Start des Futures-Handels automatisch aufgekauft wurde und der Handel gleich sehr deutlich höher einsetzte. Zur Unterstützung wurde diesmal vor allem der Euro eingesetzt:
Dieser startete ebenfalls mit einem “Gap”, einer Kurslücke nach oben. All das zusammen sollte das Bild vermitteln, dass Emmanuel Macrons Sieg bei der Vorwahlrunde der französischen Präsidentschaftswahl einer bullischen Sensation gleichkäme. Wirklich?
Eigentlich nicht, denn das Vorwahlergebnis traf die vorherigen Prognosen so präzise wie selten. Es war also genau das passiert, womit man im Vorfeld hätte rechnen können. Doch darum ging es in Wirklichkeit ja auch nicht. Das Ziel war, diese Chance beim Schopf zu packen, um den vorher zu kippen drohenden Trend des DAX wiederzubeleben – mit Erfolg, denn die Anleger “frassen” diese Begründung mit der Frankreich-Wahl und sprangen auf den Zug auf.
Aber warum das Ganze? Wieso unternehmen grosse Adressen überhaupt derartige Aktionen, die schliesslich auch schiefgehen könnten?
Grundsätzliche Zielsetzung: Die Trendwende verhindern
Grundsätzlich gilt: Fast immer, wenn solche “Geister-Rallyes” bei Aktien oder Selloffs bei Gold oder Euro auftauchen, ist das primäre Ziel, eine Trendwende nach unten zu verhindern. Denn nach dieser bereits seit über acht Jahren anhaltenden Hausse der Aktienmärkte haben diese grossen Adressen ein Problem: Sie sind nahezu alle viel zu gross, um auf negative Veränderungen schnell und flexibel reagieren zu können. Grund:
Wenn grosse Hedgefonds oder Aktienfonds versuchen würden, ihre Positionen bei einer Eintrübung der Lage nennenswert zu verkleinern, würde das ein solch grosses Volumen auf der Verkaufsseite bedeuten, dass diese Massnahmen, um sich gegen fallende Kurse abzusichern, den Verkaufsdruck so vergrössern würden, dass genau das passiert, wovor man sich retten wollte: Eine Trendwende. Was tut man also?
Man tritt die Flucht nach vorne an. Solange die Sparer diesen grossen Adressen immer neues Geld zuführen, bleiben die Barreserven gross genug, im Fall kritischer Situationen gezielt eingreifen zu können. Dass das dann wirkt, als würden die Anleger insgesamt auf einmal aus einem negativen Umfeld ein positives machen, ist klar … wenn man nicht hinter den Vorhang schaut. Aber bedeutet das, dass die Aktienmärkte gar nicht nennenswert fallen können, egal, wie sich die Gemengelage zum Negativen entwickelt?
Ein gefährliches Spiel
Keineswegs. Denn damit solche gezielten Aktivitäten den gewünschten Effekt zeigen, müssen diese grossen Adressen mehrheitlich mitspielen, und sei es nur, indem sie passiv bleiben, statt auszusteigen. Aber wir wissen z.B. aus den starken Abwärtsbewegungen der Jahre 2008 und 2011, dass es eben doch abwärts gehen kann. Und wenn, dann meist mit hohem Tempo. Warum?
Die Entscheider dieser grossen Akteure am Markt überlegen genau, wie sie vorgehen und ob ihre Aktivitäten ausreichend gute Chancen haben, den gewünschten Erfolg zu erzielen. Steht das indes infrage, weil sie befürchten, dass der Verkaufsdruck durch eine erhebliche Verschlechterung der Rahmenbedingungen zu gross würde, um die Notierungen mit einem akzeptablen Kapitaleinsatz nach oben drehen zu können, rückt die brisante Alternative in den Fokus: Aussteigen, bevor es die anderen tun. Denn man weiss ja: Wer zuerst verkauft, bekommt noch die besten Kurse.
Es ist daher immer ein Vabanque-Spiel. Die Entscheidung, ob man eine mögliche Wende nach unten auffangen soll, wird immer kurzfristig und oft auch emotional eingefärbt getroffen. Entscheiden sich zu viele grosse Adressen dagegen und versuchen lieber, so schnell wie möglich auszusteigen, kann eine solche “Rallye von Geisterhand” verkümmern oder ganz ausbleiben und dann kann, angesichts der gewaltigen Summen, die bei den grossen Adressen in den Portfolios ruhen, im Gegenteil ein Kurssturz entstehen. Dann wundern sich viele, warum die Börsen auf einmal so negativ reagieren, nachdem man vorher alle negativen Impulse scheinbar gelassen wegsteckte. Aber das ist eben nichts, worüber man sich wundern müsste: So und nicht anders funktioniert seit jeher die Börse!
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