Das Theater, das die US-Medien um die runde Marke von 20.000 Punkten beim US-Index-Flaggschiff Dow Jones machen, wirkt auf uns bisweilen etwas albern. Es ist doch nur eine Zahl, sagen viele. Und auch, wenn ein Dow Jones über 20.000 besser aussieht, ist es bestenfalls ein psychologischer Meilenstein, keine charttechnisch relevante Marke. Zumal die Rahmenbedingungen, die mittelfristig für das Wohl und Wehe eines Aktienindex entscheidend sind, dadurch weder besser noch schlechter werden. Mag sein.
Aber das psychologische Element sollte man besser nicht unterschätzen. Und etwas Anderes ist noch wichtiger: Solche runden Marken sind zwar, wenn sie erstmal angesteuert werden, charttechnisch nicht relevant. Aber in aller Regel werden sie es!
Als der DAX am 9. Juni 2014 erstmals über 10.000 Punkten schloss, knallten am Frankfurter Parkett die Sektkorken. Um zu verstehen, warum diese 20.000 beim Dow Jones so wichtig genommen werden, muss man sich nur einmal zurückerinnern, was damals beim DAX geschah:
Die knallenden Sektkorken wichen damals nämlich schnell langen Gesichtern. Nachdem es drei Wochen lang nicht gelang, den DAX nachhaltig über die 10.000 zu ziehen, folgte erst einmal eine scharfe Korrektur bis hinunter auf 8.600 Punkte. Und auch der zweite Anlauf im Dezember 2014 wurde abgewiesen, bevor sich der DAX dann im Januar 2015 nachhaltig über diese runde Marke absetzen konnte. Und das ist eben keineswegs ein Einzelschicksal unseres DAX. Beim Dow Jones wurde in den vergangenen Jahrzehnten ebenso heftig um runde Marken gerungen. Gehen wir dazu ein halbes Jahrhundert zurück:
Der lange Kampf des Dow Jones um die 1.000 Punkte-Marke
Anfang der Sechziger Jahre kam es an der Wall Street zu einer gewaltigen Rallye. Das Raumfahrtprogramm, die Entwicklungen in der Unterhaltungsindustrie und der schnell wachsende Wohlstand trieben die Aktienkurse durch die Decke. Doch Anfang 1966 war knapp unterhalb der 1.000 Punkte-Marke auf einmal Schluss. Warum?
Weil solche Marken daran erinnern, wie weit die Kurse im Vorfeld gelaufen sind. Die Annäherung an solche Linien initiiert bei vielen eine Retrospektive und eine Neubewertung der Lage. Denn natürlich stellt sich dann die Frage: Zukaufen, weil eine historische Marke erreicht wurde – oder aussteigen, zumindest Gewinne mitnehmen, weil der Eindruck entsteht, dass der Markt jetzt langsam „teuer“ ist?
Das sind Fragen, die sich nur wenige stellen, solange ein Trend dynamisch bleibt. Und wir wissen aus der Erfahrung der vergangenen Jahrzehnte, dass Anleger dann auch nur zu gerne bereit sind, am Horizont aufziehende dunkle Wolken einfach zu ignorieren, weil sie sich sagen: Der Markt läuft doch … ich kann immer noch aussteigen, wenn die anderen es tun. Zwei Dinge sind dabei festzuhalten:
- Je schneller und steiler es zuvor aufwärts ging, desto eher kommen Anleger bei der Annäherung an solche „Big Figures“, wie man sie in den USA nennt, zu dem Schluss, dass der Markt jetzt recht teuer geworden ist.
- Wenn ein Index oder eine Aktie auch nur einmal an einer solchen Linie abgedreht oder auch nur gezögert hat, wird aus der vorher rein psychologischen auch eine charttechnische Marke.
Das Beispiel des Ringens um die 1.000 Punkte-Marke beim Dow Jones zeigt das sehr eindrücklich. Nachdem der Index 1966 dort erst einmal abdrehte, kam es erst 1968 zum nächsten Anlauf – und wieder gelang der Ausbruch nicht. Das allein war schon ernüchternd, aber es sollte noch schlimmer kommen:
Ende 1973 gelang es endlich, diese Linie zu bezwingen. Doch der Dow Jones lief gerade einmal fünf Prozent weiter, fiel dann mit grosser Dynamik zurück und ging sogar in eine veritable Baisse über. Ausgangspunkt war die Ölkrise der Siebziger Jahre – und die 1.000 Punkte-Marke wurde zur Beton-Hürde. 1976 und 1981 schlugen zwei weitere Versuche fehl, die Linie deutlicher zu überwinden. Erst Ende 1982 gelang der nachhaltige Ausbruch – fast siebzehn Jahre hatte es gedauert, bis diese Linie endlich bezwungen war.
10.000 Punkte – eine verbissen verteidigte „Big Figure“
Kein Wunder, dass sich die US-Investoren den nächsten „Big Figures“ gleich mit einem flauen Gefühl näherten. In den frühen Neunzigern ging es bei der 3.000 und der 4.000 Punkte-Marke ein wenig zögerlich zu, während die 5.000 im Jahr 1995 jedoch schnell und ohne Zögern genommen wurde. Auch als es um die „Superzahl“ 10.000 ging, gab es keine Probleme. Der Grund:
Damals lief die „Dot.com-Hausse“. Auch, wenn damals vor allem Technologieaktien jeder Couleur blind und zu jedem Preis gekauft wurden, der mehrheitlich mit konservativen Industrieaktien besetzte Dow Jones wurde in dieser Euphoriewelle mitgezogen. Danach brachen die Aktienmärkte ein, aber vor allem die Technologieindizes wie der Nasdaq oder hierzulande der Neue Markt. Der „konservative“ Dow Jones hielt sich im Vergleich besser – und das lag wiederum an einer runden Marke: der zuvor bezwungenen 10.000.
Einige von Ihnen werden sich noch erinnern, wie wichtig die Medien es damals nahmen, dass sich das US-Index-Flaggschiff diese „Fünfstelligkeit“ erhält. Wieder ging es um die psychologische Bedeutung einer solchen runden Marke, nur sollte sie diesmal von oben kommend gehalten werden um zu verhindern, dass die Investoren sich des Rückfalls unter die 1.000 im Jahr 1973 und seinen Folgen erinnern und in Panik geraten.
Das funktionierte zwei Jahre lang. Kurze Ausflüge unter diese Linie wurden blitzschnell wieder aufgekauft und so die psychologische Stabilität wiederhergestellt – bis zum 11. September 2001. Danach war dann auch die 10.000 Punkte-Marke egal, man hatte andere Sorgen.
Nach der Rückeroberung der Linie Ende 2003 wurde sie bis 2005 noch mehrfach von oben getestet, hielt aber immer wieder recht gut stand, bevor es ab 2006 deutlich höher ging. Sieben Jahre lang spielte die 10.000 also eine entscheidende Rolle. Und heute?
Die 20.000 könnte in der Zukunft einmal „Trump-Linie“ heissen
Wird die 20.000 womöglich ebenso zum jahrelangen Menetekel für bullische Investoren wie vor 50 Jahren die 1.000 Punkte-Marke? Das muss sich erst erweisen. Immerhin haben wir hier andere Beispiele gesehen, bei denen es erst einmal mit grossem Schwung über solche Linien ging. Aber wir wissen jetzt, woran man festmachen kann, ob eine solche „Big Figure“ zur Stütze oder zum Angstgegner wird:
Es ist die Frage, wir die Investoren, die durch das Erreichen solcher Linien dazu neigen, die Gesamtsituation, das Umfeld genauer zu hinterfragen als sonst, dieses beurteilen. Zinsentwicklung, Währungsverschiebungen, Unternehmensgewinne, das politische Umfeld.
Ob die jetzt umkämpfte Linie von 20.000 über Jahre zur Betonhürde werden oder schon bald als immer wieder erfolgreich verteidigte Unterstützung dienen wird, wird davon abhängen, zu welchem Urteil die Investoren in den kommenden Wochen und Monaten kommen.
Und angesichts des grossen und zugleich unberechenbaren Einflusses des neuen US-Präsidenten, dessen Handeln die US-Wirtschaft stärken, aber genauso gut in den Abgrund stossen kann, würde es nicht überraschen, wenn man diese 20.000, egal, ob sie dann immer noch ein Widerstand oder eine Unterstützung sein wird, später einmal als „Trump-Linie“ bezeichnen wird. Einfach wird es jedenfalls nicht, sie nachhaltig zu überbieten.
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