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Ender der Achtzigerjahre war Japan der spannendste Markt weltweit. Doch dann ging etwas kapital schief. Die Tokioter Börse kollabierte und versank danach in einen Dornröschenschlaf. Erst die Meldung über die ersten Rekordhochs seit dreieinhalb Jahrzehnten liess manche zuletzt wieder hinschauen. Doch über all die Jahre war Japan in einer ganz anderen Hinsicht für die Weltmärkte wichtig … und stellt eine Zeitbombe dar, die kaum jemand wahrnimmt, Stichwort „Carry Trades“. Werfen wir einmal einen Blick ins Land der aufgehenden Sonne.
Seit China zum Wachstumsmarkt wurde, geht der Blick internationaler Investoren dorthin oder nach Südkorea, wenn es um Investments in Südostasien geht. An der Börse aktuell ist Japan für viele komplett vom Bildschirm verschwunden. Was vor allem am bis vor zehn Jahren nonstop dahinsiechenden Aktienmarkt lag. Dass der ab 2013 wieder zulegte, dürften die meisten gar nicht mitbekommen haben. Zumal: Zinsen gab es in Japan auch keine und das Wachstum war gegenüber der Boom-Phase der Achtzigerjahre nicht der Rede wert. Wozu überhaupt hinschauen? Aber bevor wir zur Zeitbombe namens „Carry Trades“ kommen, sollten wir uns erst einmal im Schnelldurchlauf ansehen, was damals passiert war. Denn letztlich leitet das alles dorthin, wo jetzt der Zeitzünder tickt.
Eigentlich wie üblich: Erst kam die Blase … und dann platzte sie
Japan war „das“ Ding der Achtziger. Ob Autos, Unterhaltungselektronik oder Haushaltsgeräte, aus Japan kamen die coolsten, innovativsten Produkte, die europäischen und US-amerikanischen Herstellern die Marktanteile wegfrassen wie ein Heuschreckenschwarm die Ernte. Natürlich wollten alle dabei sein, zumal es die Aktien der grossen Marken auch alle zu kaufen gab. Und dann kamen auch noch die ersten Optionsscheine von dort: Reich werden im Schnellzugtempo, wer wollte das nicht? Da die Endphase … von der ich nicht ahnte, dass es die Endphase und nicht der Beginn der Party ist … genau in die Zeit fiel, in der ich meine ersten Schritte als Anleger machte, kann ich als Zeitzeuge berichten, wie dumm man allseits aus der Wäsche schaute, als es pünktlich mit dem Start ins Jahr 1990 abwärts ging wie in einem defekten Fahrstuhl. Unter anderem mit mir drin, klar.
Was war passiert? Nun, einfach das, was immer passiert, wenn eine Blase entstanden ist: sie war geplatzt. Einen unmittelbaren, zwingenden Auslöser gab es damals, wie so oft, nicht, soweit ich mich richtig erinnere (zumal das damals mit dem Informationsfluss ja anders lief als heute). Der Hausse gingen einfach zu lange die Käufer aus, während im selben Moment zu viele auch mal Kasse machen wollten. Das führte zu abrutschenden Kursen und die wiederum dazu, dass man begann zu tun, was man vorher im Taumel der Goldgräber-Stimmung nicht getan hatte: genauer hinsehen. Und das hatte auch ich vorher nicht, obgleich gerade frisch mit BWL-Diplom versehen und somit grundsätzlich imstande zu verstehen, dass so manches längst die höchste Alarmstufe erreicht hatte, beispielsweise die absurd stark gewachsene Geldmenge in Japan, wie der folgende Chart zeigt:
Alle wollten dabei sein, immer mehr Geld floss in den japanischen Markt. Die Bewertungen wurden, wie üblich bei solchen euphorischen Phasen, in denen die Gier die Vernunft aus dem Feld schlägt, absurd hoch. Und dann muss halt nur einer „Feuer“ schreien und alle wollen zugleich aus demselben, zu engen Notausgang hinaus. Das Problem war, wie übrigens bei den meisten Baissen, dass die Konjunktur in Japan, aber auch in Europa und den USA, zuvor ganz gut beieinander war, durch diesen Crash der japanischen Börse aber so viele so viel Geld verloren, dass der Konsum massiv zurückging und dadurch auch in Europa und den USA eine Rezession entstand (nicht nur deswegen, aber auch). In Japan jedoch war der Flurschaden nicht nur grösser, er war dramatisch. Sehen Sie sich dazu die folgende Grafik an:
Mega-Staatsverschuldung, kein Wachstum, keine Perspektiven
Das Wachstum rutschte immer weiter ab. Und mehr noch: Es kam nicht mehr auf die Beine. Selbst Anfang 1996, sechs Jahre nach dem Platzen der Aktienblase, kroch das japanische Bruttoinlandsprodukt noch um die Nulllinie herum, während die Staatsverschuldung immer weiter stieg, da die Regierung ein Konjunkturprogramm nach dem anderen auflegte und am Ende nichts funktionierte. Auch heute ist das noch so, im Verhältnis Staatsschulden zu Bruttoinlandsprodukt liegt Japan mit 264 Prozent meilenweit vor allen anderen Ländern.
Die japanische Notenbank war zunächst ratlos, immerhin hatte sie das Geld durch Zinssenkungen in einem für damals erheblichen Ausmass bereits billiger gemacht. Aber es war offenbar noch nicht billig genug. Der nächste Chart zeigt, was dann passierte:
Japan „erfand“ quasi, lange vor EZB und US-Notenbank, in den Neunzigerjahren die Nullzinspolitik. Der japanische Leitzins rutschte zuerst auf 0,5 Prozent, Anfang der 2000er auf 0,1 Prozent und blieb seither die meiste Zeit dort. Das führte dazu, dass die japanische Wirtschaft wieder erste Sprünge machte. Konstant wurde das aber nie … also bleiben die Zinsen unten. Und ebenso wie später in Europa und den USA sagte man sich: Das können wir irgendwann wieder auf Normalniveau korrigieren, aber momentan geht es halt nicht. Auf den ersten Blick schien das ja auch kein Problem zu sein. Und im Gegenteil: Für einige findige Köpfe war es sogar mehr als das … es war ein Schlaraffenland, denn:
Nullzinsen „forever“ … und das Entstehen der Zeitbombe
Während im Rest der Welt die Zinsen höher waren, waren in Japan natürlich auch die Kreditzinsen entsprechend der Null-Leitzinsen relativ billig. In Japan einen Kredit aufzunehmen, dessen Verzinsung den Kreditnehmer weniger kostete als die Zinsen, die er z.B. für US-Anleihen bekam, war somit höchst verlockend. Aber was, wenn es zu Währungsverschiebungen kommt, so dass der Yen, in dem man den Kredit dann ja zurückzahlen muss, auf einmal erheblich steigt und der Währungsnachteil den Zinsvorteil aufzehrt, sogar ein Verlust entsteht?
Dieses Risiko hielten viele für gering und sind damit bislang nicht auf die Nase gefallen, denn die japanische Notenbank hob die Zinsen ja nicht an, so dass der Yen aufgrund der mageren Zinsen nie richtig in Fahrt kam. Wir sehen in der nächsten Grafik, wie sich der Yen in den letzten zehn Jahren zum Euro und zum US-Dollar entwickelte (die Grafik zeigt, wie viel Yen man für einen US-Dollar bzw. einen Euro bezahlen muss, d.h. steigt der Kurs, fällt der Yen im Wert):
Und dieser Wertverfall des Yen (Kürzel JPY) machte einige immer gieriger, denn überlegen wir mal, was das bedeutet:
Nehmen wir an, Sie hätten vor einem Jahr in Japan einen Kredit von zehn Millionen Yen aufgenommen, der damals beim Wechselkurs von 148 Yen für einen Euro einen Gegenwert von 67.560 Euro hatte. Für dieses Geld zahlen Sie einen einfach mal angenommenen Zins von 1,5 Prozent für fünf Jahre, können aber jederzeit zurückzahlen. Im April 2023 hätten Sie dieses Geld in Euro getauscht und Bundesanleihen mit fünf Jahren Laufzeit und einer Verzinsung von damals 2,45 Prozent gekauft. Damit würden Sie jedes Jahr knapp ein Prozent oder knapp 680 Euro Zinsüberschuss haben (Anleiherendite – Zins für den Yen-Kredit). Nicht übel dafür, dass das komplett auf Pump läuft, der eigene Kapitaleinsatz also null ist. Aber!
Angenommen, Sie würden diesen Yen-Kredit jetzt zurückzahlen, wäre der Verzinsungsvorteil „Peanuts“ im Vergleich zum Währungsgewinn. Denn aktuell ist kostet ein Euro 169 Yen und nicht mehr 148 wie vor einem Jahr. Das bedeutet, dass Sie die Rückzahlung der zehn Millionen Yen jetzt nur noch 59.171 Euro kostet … Sie hätten durch den Verfall des Werts des Yen also einen Währungsgewinn von fast 8.400 Euro kassiert!
Deswegen sind diese sogenannten Carry-Trades so beliebt. Sehr viele internationale Anleger nehmen sehr viel Geld in Japan auf und sind sich sicher, damit das Ei des Kolumbus gefunden zu haben. Und wie gesagt: Ja, das ging lange gut. Aber das muss es nicht auf ewig. Und wenn es schiefgeht, hätte das heftigste Konsequenzen!
Die Carry-Trades: Was wäre, wenn …
Ein stärkerer Yen ist zwar nicht im Sinne der Carry-Trader. Aber die japanische Notenbank wäre daran sehr wohl interessiert, denn da Japan so ziemlich alle Rohstoffe importieren muss und die in US-Dollar fakturiert werden, werden diese Importe mit fallendem Yen immer teurer und teurer. Und befeuern dadurch die bislang in Japan harmlos gebliebene Inflation, deren Jahresrate, wie im Folgenden zu sehen, nicht vergleichbar mit den USA und der Eurozone stieg, derzeit aber auch kaum zurückkommt. Und das kann Japan, dessen Wirtschaft sich seit 1990 nie wirklich stabil erholen konnte, nun wirklich nicht gebrauchen.
Daher hat die japanische Notenbank in der letzten Woche erstmals seit 17 Jahren den Leitzins angehoben. Zwar nur auf 0,1 Prozent, das ist also bisher rein symbolisch. Aber der schwache Yen muss zurückkommen, ansonsten dürften weitere Zinsschritte folgen. Und dann, wenn der Yen auf einmal steigt, hätten die „Carry-Trader“ ein Problem. Und nicht nur sie.
Für Carry-Trades hiesse das, dass bei einem wieder stärker werdenden Yen die Gefahr droht, Währungsverluste zu erleiden, die weit höher kommen als der Zinsvorteil. Damit würde aber nicht nur die Neuaufnahme solcher Yen-Kredite uninteressant, viele würden natürlich versuchen, die Reissleine zu ziehen. Was hiesse:
Erst müssten die ganzen Trades in Anleihen und Aktien, die auf diesen Krediten basieren, verkauft werden. Niemand weiss sicher, wie gross das Volumen der Carry-Trades derzeit ist, aber man darf unterstellen, dass wir uns da in der Region von Billionen bewegen. Schon 2010, so ein FAZ-Artikel von damals, ging es um mehrere Hundert Milliarden US-Dollar.
Da würde es also am Aktien- und Anleihemarkt überall heftig rumpeln. Zudem verdienen die japanischen Banken an diesen Geschäften ja nicht schlecht. Würde dieses Kartenhaus indes zusammenfallen und eine nennenswerte Prozentzahl solcher Kredite uneinbringlich, weil die Kreditnehmer die Verluste nicht rechtzeitig begrenzt haben, könnte das den japanischen Bankensektor und mit ihm die gesamte Wirtschaft massiv unter Druck setzen.
Die ewige Nullzinspolitik und dieses angebliche „Ei des Kolumbus“ namens Carry-Trades sind also nichts anderes als eine Zeitbombe, bei der keiner weiss, wann sie hochgehen könnte. Was wir aber jetzt wissen ist: Die Sorge vor einer dauerhaft zu hohen Inflation wegen des Wertverfalls des Yen führt gerade dazu, dass die japanische Notenbank am Zeitzünder herumbastelt. Nicht weil sie nicht wüsste, was das bedeuten könnte, sondern weil ihr nichts anderes übrig bleibt.
Was lange gutgeht, geht auch weiter gut? Glaubt das jemand ernsthaft?
Dass der Yen auf diese Mini-Leitzinsanhebung nicht reagierte, mag manche darin bestärken zu glauben, dass ihren Carry-Trades nichts passieren kann. Solange etwas gutgeht, neigt man nun einmal dazu zu glauben, dass es auch weiterhin gutgeht, wie z.B. zu schnell und ohne Gurt in Kurven zu fahren, am besten noch bei Regen. Aber ungefähr so riskant ist die Sache eben.
Und gerade der Japan-Crash 1990/91 sollte einem vernünftig denkenden Investor klarmachen, dass gerade dann, wenn viele glauben, dass nichts anbrennen kann, bereits der Zeitzünder tickt. Damals bin ich von solchen Ideen kuriert worden. Aber wie viele agieren heute an den Börsen, die noch nie erlebt haben, dass, was risikolos scheint, auf einmal zu Staub zerfällt? Viele, daher: Halten Sie Ihre Risiken immer im Rahmen, denn wer viel wagt, mag oft gewinnen … aber wer zu viel wagt, landet fast immer auf der Nase!
Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Börsenwoche!
Ihr
Ronald Gehrt
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